„Lesen & Lauschen“ grüßt seine Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus der Isolation. Wir wissen, dass alles nur „eine Frage der Zeit“ ist!

Als das Familienzentrum im März coronabedingt auf ungewisse Zeit schließen musste, jährte sich auf den Tag genau das Bestehen unseres agilen Lesekreises Lesen & Lauschen, der glücklicherweise im März 2019 vom Familienzentrum ins Leben gerufen wurde und sich seither seiner Existenz und eines regen Zulaufs erfreut. Seither wird hier schöne Literatur geradezu verköstigt. Man trifft sich wöchentlich zum Lesen, zum Lauschen, zum Lachen, zum Seufzen, zum Austausch und zum Reden. Vielleicht ist es kein Zufall, dass in vielen Passagen, die wir uns hier bereits einander vorgelesen haben, davon die Rede war, wie gut Worte schmecken, wie sie die Kehle hinabrinnen können und vor allem dass Geschichten uns Menschen nicht bloß unterhalten, sondern nähren. 

„Wir schmecken die Stimmen der Erzähler“, sagt Rafik Schami in ERZÄHLER DER NACHT, einer der Lektüren, die der Lesekreis sich gegenseitig komplett vorgelesen hat. Und in dem das Geschichtenerzählen selbst Thema ist. Auf orientalischen Märkten — die Erzählung spielt im alten Syrien — werden Geschichten dargeboten wie Datteln, Feigen, Honig und Tee. Auch denen, die nicht lesen können, die nur lauschen möchten. Schön für Menschen, die Probleme mit den Augen haben oder die Lesebrille vergessen haben: auch bei uns muss man nicht lesen, auch hier darf man einfach nur zuhören. Einfach nur schmecken…

„Es ist mein Highlight der Woche“, schwärmt eine Teilnehmerin. Dass Szenen, Figuren und Worte uns von Donnerstag bis Donnerstag begleiten, bestätigen viele. Die Texte regen an. Gemeinsam in der Gruppe zu lesen, die Texte laut zu hören und auf diese Weise miteinander zu teilen, hinterlässt eben einen ganz besonders tiefen und lebendigen Eindruck. Es ist ein anderes Erlebnis, als wenn man ein Buch nur für sich liest. Und es geht sehr viel langsamer. Dabei geht es nicht nur bei den ausgewählten Büchern, sondern auch in den kleinen Geschichten, die Konstanze, die den Lesekreis leitet, drumherum erzählt, oft um das Buch, das Vorlesen und das Lesen schlechthin, eine der spannendsten kulturellen Errungenschaften der Menschen. So fragt sich ihre Majestät, die britische Königin herself, ob Lesen denn eine selbstsüchtige Handlung sei? Gemeinsam zu lesen bei Lesen & Lauschen jedenfalls nicht, denn hier versinkt niemand allein im Buch, es wird vielmehr gemeinsam erlebt und das Erlebte eifrig besprochen. Ob das Lesen von Büchern zur Bürgerpflicht erhoben werden sollte? fragt die britische Königin weiter. Und da könnte der muntere Lesekreis durchaus nur zustimmen. An den überaus intimen Gedanken ihrer Majestät haben wir hier dank der Lektüre von Alan Bennetts DIE SOUVERÄNE LESERIN teilgenommen und auf’s höchste amüsiert erfahren dürfen, dass das Lesen die Queen nachsichtiger gegenüber ihrer Familie macht und dass die doch recht einsame Herrscherin, die sich stets von allem und jedem in gehöriger Distanz bewegen muss (nicht nur zu Corona-Zeiten), durch die Bücher einen unerwarteten Zuwachs an Mitgefühl erfahren habe. Das Lesen von HARRY POTTER hebt sie sich für Regentage auf, heißt es im Buch. Vielleicht aber liest sie es ja jetzt gerade. Denn nicht nur für unseren Lesekreis ist das Lesen nun ausgerechnet seit dem Tag, an dem er eigentlich seinen ersten Geburtstag feiern wollte, wieder zur einsamen Beschäftigung geworden. Dabei hatten einzelne Teilnehmerinnen unmittelbar nach unserem Shut-Down der Gruppe ihr Wohnzimmer oder ihre Terrasse angeboten, um mit dem Lesen & Lauschen fortfahren zu können. Doch machten dies die erweiterten Kontaktverbote natürlich ebenfalls hinfällig. 

Viele Lesekreise sind das einsame Lesen gewohnt. Dort liest jeder für sich einige Wochen am Stück zuhause, dann trifft man sich, um über das Gelesene zu diskutieren. Lesen & Lauschen bei uns hingegen vertritt das Modell des Shared Reading, eines Lesekreises, der das Lesen selbst miteinander teilt. Aktiv wie passiv. Hier lesen wir jedes Buch von Anfang bis Ende gemeinsam. „Hier haben wir Zeit. Wir lesen eigentlich so langsam wie möglich.“ Was bedeutet, dass wir uns unendlich viel Zeit für ein Buch nehmen. Und womöglich gerade deshalb ist unser Treff für viele von uns so ein durch und durch sinnliches Erlebnis. Die Lektüre vorgetragen von unterschiedlichsten Stimmen, gespickt mit Anekdoten der Teilnehmer. Zwischenrufe, Lachen, Kommentare sind nicht nur erlaubt, sondern erwünscht. Und trotz der Langsamkeit des gemeinsamen Tuns wurden in dem einen Jahr unseres Bestehens immerhin fast sieben Bücher gelesen, darunter Alex Capus’ EINE FRAGE DER ZEIT oder Tove Janssons SOMMERBUCH. Die Wahl des Buchs, das gelesen wird, kommt aus der Mitte der Gruppe, ergibt sich im Gespräch, entsteht aus der einen oder andern Lektüre selbst. Wichtig ist uns, dass es Bücher sind, die gut tun, die vom Alltagsgeschehen der Nachrichten ablenken und die die Geschichten hinter den weltbewegenden Geschehnissen erzählen. Die Geschichten von Menschen eben, die ihr Leben trotz allem meistern. Spielen diese Geschichten nun in Frankreich oder Tansania, in London oder Damaskus oder auf einer kleinen Schäreninsel in Schweden, ganz gleich, denn durch das Buch kommen sie alle dort zusammen, wo wir sie lesen. Warum nur fast 7 Bücher? Weil der Corona-Virus den uns genau wie alle anderen diesen März aus seiner Gewohnheit mitten heraus gerissen hat. 

Doch sind wir zuversichtlich. Sobald sich wieder gefahrlos getroffen werden darf, wird hier auch wieder gelesen. Videolesungen ersetzen nicht, was wir zuvor hatte, und mit Maske und auf Abstand wollen wir uns hier auch nichts zurufen. (Obwohl wir beides abgewogen haben.) Wir brauchen leider noch etwas Geduld, wie derzeit beinahe alle Menschen. Doch ist es ein (erlerntes) Privileg von Lesern, dass sie geduldig sind. Tausende von Seiten Lektüre brauchen ihre Zeit. Leser*innen brauchen Zeit. Vielleicht überbrückt ja nicht nur Her Majesty, die Queen, Corona mit HARRY POTTER… 

Seid all, ob ihr nun schon an Lesen & Lauschen teilgenommen habt oder nicht, noch einmal erinnert: Beim Lesen vergeht die Zeit unglaublich schnell, auch wenn man sie allein zubringt. Gesellschaft vieler illustrer Persönlichkeiten schenken uns beim Lesen die Figuren. In alle Welt und bis in den entlegensten Winkel zu reisen, ist gefahrlos und trotz geschlossener Grenzen beim Lesen und auch beim Hören von Hörbüchern immer möglich. Der alte Spruch gilt: Lesen verleiht Flügel. 

Hiermit grüßt Lesen & Lauschen euch alle herzlich aus der Isolation und hofft auf eure Lese-, Vorlese- und Buch-Geschichten aus der Zeit, in der wir auf persönliche Treffen verzichten mussten. Bis dahin erfahren wir alle hoffentlich ebenso wie die Queen unerwarteten Zuwachs an Mitgefühl durch die Bücher, die wir gerade ganz alleine lesen.

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