„Entscheidend ist, wie wir damit umgehen“
Mit ihrem Vortrag über Juden in Meckesheim regte Edith Wolber zum Nachdenken an
Bammental. (heb) Den kleinen jüdischen Friedhof in Meckesheim hatte Edith Wolber rein zufällig bei einem Spaziergang entdeckt. Die promovierte Ethnologin fragte sich: Wer waren diese Menschen jüdischen Glaubens? Und wie haben sie in Meckesheim gelebt?
Viel später, als ihre Kinder groß waren, fand sie die Zeit zu recherchieren. Die Meckesheimerin forschte in Archiven, nahm Kontakt zu Nachfahren auf, sprach mit Zeitzeugen. „Jüdisches Leben in Meckesheim bis 1940. Die vergessene Geschichte eines Kraichgaudorfes“ heißt das Buch, das sie fünf Jahre später im Verlag Regionalkultur herausbrachte.
Für die Bammentaler Sängerin und Liedermacherin Andrea van Bebber war klar: „Das müssen wir hier nach Bammental holen.“ Mit Ehemann Hannes van Bebber (Gitarre und Gesang), Thomas Ochs (Querflöte) und Irene Schubert (Bratsche, Geige) umrahmte sie den Vortrag mit jiddischen Liedern.
Manche der Lieder luden zum Mitschnipsen ein, andere gingen unter die Haut. In der Pause wurde selbst gebackenes Jüdisches Festtagsbrot mit vegetarischem Brotaufstrich und Taboulé gereicht.
Im bis auf den letzten Stuhl besetzten Familienzentrum erzählte Edith Wolber Wissenswertes über den Alltag in den kleinen jüdischen Landgemeinden und beschrieb beispielhaft das Leben und das Schicksal der Familie Stein in Meckesheim.
Sie machte klar, dass die Verfolgung der jüdischen Bevölkerung in Deutschland eine jahrhundertelange Tradition hatte. Egal ob Pest oder Hungersnot, immer wieder mussten Juden als Sündenböcke herhalten. Für Ritter und Kurfürsten war das Schutzgeld, das sie von den „Schutzjuden“ eintrieben, ein einträgliches Geschäft. Stark eingeschränkt waren Juden in ihren beruflichen Möglichkeiten. Unter anderem durften sie keine Bauern sein und kein Land besitzen und außer dem Metzger stand ihnen kein Handwerksberuf offen. Viele Landjuden trieben Handel, verkauften die Erzeugnisse der Bauern in den Städten und brachten von dort Schuhe, Nägel und andere Waren mit.
Während die bäuerliche Bevölkerung oft arm blieb, wurden viele Juden durch die städtischen Kontakte wohlhabender. Als sie im Jahr 1862 im Zuge der Judenemanzipation gleich gestellt wurden, wuchs der Neid auf das vermeintlich einfachere Leben.
Max Neuberger, der in der Friedrichstraße 30 in Meckesheim ein Modegeschäft führte, stand allen Neuerungen aufgeschlossen gegenüber. Er hatte ein Telefon mit der Nummer eins, hatte als erster im Dorf ein Auto und stellte seinen Radioempfänger ins offene Fenster, damit die Nachbarn mithören konnten, berichtete Edith Wolber.
Ab 1931 belagerte die Hitlerjugend sein Geschäft um Kaufwillige abzuschrecken. 66 Prozent der Meckesheimer Wahlberechtigten wählten im Jahr 1932 Hitler, im ganzen Reich waren es 30 Prozent.
„Ja, ‚die SA hat sich arg gezeigt in Meckesheim‘, vor allem bei den Juden, die ‚arg beneidet‘ waren“, zitiert sie Zeitzeugen.
Nicht so arg beneidet wurde Max Neubergers Schwester Lina Stein, die es nicht so gut getroffen hatte und früh Witwe wurde. Sie betrieb einen Kurzwarenladen und wird in den Interviews mit Zeitzeuginnen als freundliche und geachtete Frau beschrieben. „Sie war immer gut zu uns Kindern“, hieß es. Das gilt auch für Tochter Alice, die im Laden half und bei der die Bauernkinder gegessen haben wenn ihre Eltern auf dem Acker waren.
Es waren vor allem die Ärmeren und die Alten, die sich nicht ins Ausland retten konnten und im Dorf zurückblieben. Lina Stein mit Alice, sowie zwei weitere ihrer Kinder wurden deportiert und in verschiedenen Vernichtungslagern ermordet. Nur Anna Stein mit ihrer Tochter Margret überlebte, da sie in Theresienstadt als Krankenschwester gebraucht wurde.
Schlimmer als das KZ sei für Anna Stein die abweisende Haltung der Meckesheimer Nachbarn bei ihrer Rückkehr ins Dorf gewesen. Sie habe Deutschland daraufhin für immer verlassen.
Wie war es für die Autorin, im eigenen Dorf zu so einem heiklen Thema zu recherchieren? „Es war nicht einfach“, räumt Wolber ein und schickt hinterher: Das Schweigen, das Täter- und Opferfamilien verband, habe sie sehr überrascht. „Als Nachgeborene sind wir nicht verantwortlich für das, was geschehen ist, aber dafür, wie wir damit umgehen.“
Sie habe gelernt, wie verbreitet vorausschauender Gehorsam war, aber auch, dass es Spielräume gab, die unterschiedlich – und oft im Stillen – genutzt wurden. Für heute zieht sie daraus die Lehre: „Wir sollten couragiert Einfluss nehmen, da wo wir es können.“
Text: Sabine Hebbelmann mit freundlicher Genehmigung