Wir und unser Sprachtreff Marginalia bitten um deine Mithilfe:

Zeichen setzen für „Mitsprachlichkeit“! 

Was, wenn es ein geselliges Haus im Ortskern gibt, ich aber nicht weiß, ob ich mich hinein traue? Andere gehen hinein. Doch ich weiß nicht, was dort geboten — oder gar verlangt? — wird. Ich weiß nicht, ob ich dort erst etwas tun muss, etwas, das ich eigentlich nicht kann. Weil ich es weder mit dem Lesen noch mit dem Schreiben so wirklich habe… Ob man hier von mir erwartet, dass ich zunächst einen Antrag ausfülle? Ein Formular vielleicht? Was, wenn man mir einen Prospekt in die Hand drückt? Oder mit der Hand auf die Getränkekarte an der Wand zeigt? Dann bin ich verloren und gehe lieber ganz schnell wieder hinaus, frage kein zweites Mal nach. Wie so oft… Denn ich kann nicht lesen und ich kann nicht schreiben. Jedenfalls nicht gut. Und nicht schnell genug, als dass andere nicht merken würden, dass ich damit ein Problem habe. Die anderen gehen so leicht mit Schriftsprache um; mich schließt Schriftsprache aus…

Gibt es sprachliche Barrierefreiheit?

Wenn wir hier im Haus einen auf die Sprache bezogenen Wunsch frei hätte, dann würde der lauten: Wir machen unser Gebäude sprach-barrierefrei. Damit es auch Menschen, für die Schriftsprache eine Hürde ist, hier leicht haben und sich von vornherein eingeladen fühlen. Das Ziel ist vermutlich zu hoch gesteckt, doch vielleicht ist es möglich, dass wir gemeinsam in kleinen Schritten darauf hin arbeiten. „Kurz gefasst geht es darum, dass wir Menschen, für die die Schriftsprache eine Barriere darstellt, im Haus zur Seite stehen möchten“, sind unser Leitungsteam und unser hauseigener Sprachtreff Marginalia sich einig. „Bevor wir mit praktischer Hilfe zur Seite stehen können, suchen wir Ideen, betroffene Menschen überhaupt erst zu uns reinzuholen. Denn bereits hier liegt eine erste, sehr große Hürde.“

Um ein öffentliches Haus wie unseres sprach-barrierefrei zu gestalten, hilft kein Keil an der Türschwelle, keine Automatik, die die Tür öffnet, kein Fahrstuhl. Im übertragenen Sinn jedoch muss es auch genau solche „Barriere-Brecher“ für funktionale Analphabeten geben, die politisch korrekt als „geringfügig Literalisierte“ bezeichnet werden. Hilfen, die Schriftsprache überflüssig machen, um ins Haus einzuladen, die ein Willkommen aussprechen und Türen öffnen ohne Angst. Wir werden die Barriere-Brecher vielleicht nicht (er-)finden, doch wir haben uns — inspiriert und gefördert vom Bundesministerium für Bildung und Forschung und vom Familienministerium (BMFSFJ) — vorgenommen, danach zu suchen.

Geringfügige Literalität ist keine Seltenheit in Deutschland

Marginalia hat sich in seinen monatlichen Treffen, solange sie möglich waren, regelmäßig mit Phänomenen unserer Sprache beschäftigt. Heiteren wie ernsten. Und damit einen großen Kreis an sprachinteressierten Menschen zusammen gebracht. Zum Problem der erstaunlich weit verbreiteten geringfügigen Literalisierung von Menschen in Deutschland wurde hier auch schon diskutiert und zwei Vorträge gehört, aus denen insbesondere der von Tim-Thilo Fellmer hervorstach. Er ist bekennender „funktionaler Analphabet“, der seine Schwierigkeiten mit viel Anstrengung mittlerweile so weit überwunden hat, dass er jetzt öffentlich darüber schreibt und spricht. Geringfügige Literalität gibt es natürlich in unterschiedlichen Schwierigkeitsgraden. Das fängt bei Menschen mit Migrationshintergrund an und hört bei Muttersprachler:innen, die Probleme haben, Formulare auszufüllen oder ein Bewerbungsschreiben fehlerfrei zu verfassen, noch lange nicht auf. 

Mittlerweile hat unser Sprachtreff erneut den Kontakt zu Herrn Fellmer gesucht und Gespräche mit ihm geführt. Die Materie ist von Laien nämlich nicht leicht zu durchschauen, da ein komplexes Netz aus Scham, Enttäuschungen, Dysfunktion, gesellschaftlichen Ansprüchen und vielem mehr wirkt, und wir Nicht-Betroffenen oft noch immer in völlig falsche Richtungen denken, wenn wir überlegen, wie wir von geringfügiger Literalität Betroffenen helfen können. 

Zeichen setzen, die Schrift ersetzen

Erste Ideen bestehen nun darin, das Haus mit Symbolen zu beschildern. Zeichen ganz sprichwörtlich zu setzen, die Offenheit, Willkommen, schriftfreies Miteinander usw. auf einen Blick signalisieren. Verkehrsschilder und Emojis könnten hierbei wegweisend sein. Und dazu bauen wir auf deine Mithilfe! Wenn du Anregungen, Ideen, gar Skizzen hast, teile sie unserem Sprachtreff mit! Wir freuen uns über jede:n, der mitdenkt und mithilft. Eine Nachricht an Konstanze unter konstanze.keller@fz-bammental.de genügt.

Betroffene an der Hand nehmen

Vor allem jedoch suchen wir Alltagshelfer:innen. Wie dich! Menschen, die von geringfügiger Literalität Betroffene kennen und mit ins Familienzentrum bringen. „Jemand hat mich beim Arm genommen und zurück in die Gesellschaft geführt“, erzählt uns Tim-Thilo Fellmer. „Sonst hätte ich mich gänzlich aus der Öffentlichkeit zurückgezogen.“ Das Fazit aus dem Gespräch mit ihm bestärkt uns darin, dass es letztlich nur über Mitmenschlichkeit läuft. Wir sprechen jetzt von Mit-Sprachlichkeit… Warum nicht?

Gelebte, ehrenamtliche Mit-Sprachlichkeit im FZ-Café

Genau dafür wünschen wir uns Leute, die bereit sind, zu den Öffnungszeiten im Café mit gewisser Regelmäßigkeit da zu sein. Augen, Ohren und Herz offen zu halten und zu spüren, ob da jemand ist, der Unterstützung in Sachen Schriftsprache wünscht. Und demjenigen dann ehrenamtlich schriftsprachliche Hilfe anzubieten. Ein Formular auszufüllen beispielsweise. Oder aus der Tageszeitung vorzulesen. Diese Situationen hat es im FZ-Café schon gegeben. Was uns Hoffnung macht, dass Hilfe auf diesem Gebiet durchaus erbeten wird (sobald das Vertrauen erst einmal besteht) und auch gegeben werden kann. 

Ab Herbst hoffen wir alle, dass auch die Marginalia-Treffen wieder regelmäßig stattfinden, in denen über diese Ideen und Möglichkeiten weiter nachgedacht, geforscht und geplant werden soll. Doch wer immer sich jetzt schon vorstellen könnte, die Ideen von „Mitsprachlichkeit“ und „Zeichensetzen“ des Familienzentrums zu unterstützen, melde sich jetzt schon unter konstanze.keller@fz-bammental.de mit Vorschlägen, Ideen oder der Bereitschaft als Sprachhelfer:in im Alltag hier ehrenamtlich aktiv zu werden.

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Unser Ziel ist es, Kinder und Familien zu unterstützen und gleichzeitig Begegnungsstätte für alle Generationen zu sein. Deshalb bieten wir dir eine bunte Palette an Angeboten, für die sich viele Menschen in unserem Hause engagieren.