Ein Mann findet Klaviere, und sie retten ihn

Ehsan Goodarzi bezaubert im Café des Familienzentrums

Es sind die Klaviere, die ihn magisch anziehen.
Es sind die Klaviere, die ihn finden.
Es sind die Klaviere, die ihn retten.
Auf seinem schwierigen Weg.

Eshan Goodarzi spielt auf dem Klavier im Familienzentrum

Zuerst war da ein Klavier in einem kleinen Café im Iran, das ihn fand, als er 18 Monate lang einen harten Militärdienst abzuleisten hatte, gegen den er sich zunächst massiv gesträubt hatte. Dann folgte ein vergessenes Klavier in einer Bibliothek in Kiew in der Ukraine, wo er seinen Bachelor in Elektrotechnik ein zweites Mal absolvieren musste. Der erste im Iran erworbene Titel wurde ihm nicht ausgehändigt, obwohl er schließlich den Militärdienst dort abgeleistet hatte; weil er ins Ausland ging. Das dritte Klavier schließlich, das Ehsan Goodarzi fand oder sich von ihm finden ließ, steht nun in Bammental im Café des Familienzentrums. Wohin der junge Mann vor den tödlichen Bomben geflüchtet ist.

Hier sitzt er nun oft und spielt und manch ein:e Cafébesucher:in ist schon in den Genuss gekommen, seinen Tönen zu lauschen. Manche Melodien sind uns bekannt, andere nicht, doch alle werden ruhig und getragen, fast romantisch, vorgetragen. Ohne dass ihn jemand dazu aufgefordert hat. Ohne dass man ihn engagiert hätte. Ehsan kam einfach und spielte. Die Leitung des Familienzentrums sagte ihm offenherzig zu, hier während der Öffnungszeiten spielen zu können, wann immer er wolle. Und Ehsan sagt, auch dieses dritte Klavier habe ihm das Leben gerettet. 

Seine Geschichte ist eine Geschichte, wie sie das Familienzentrum Bammental gern erzählt. Die Geschichte eines Menschen, der etwas gesucht und es hier im Haus gefunden hat. Der junge Iraner Ehsan Goodarzi ist vor den Bomben geflüchtet, die in Kiew durch die Straßen jagten, wie er erzählt, und wahllos töteten. Eine Rückkehr in den Iran war ihm nicht möglich, da man ihn dort sofort wieder zum Militär eingezogen hätte. Der Krieg und das grausame Spiel mit dem Töten hat ihm nun zum zweiten Mal die Möglichkeit genommen, sein Studium mit dem Master zu beenden. Auf Umwegen gelangte er ins Flüchtlingscamp nach Bammental. Seine Geschichte würde einen Roman füllen. In Deutschland hofft der brillante Ingenieur in Spe natürlich auf die Möglichkeit, seine Studien zu Ende zu bringen und als Elektroingenieur arbeiten zu können. Hierzu muss er in wenigen Wochen richtig gut Deutsch verstehen, sprechen, lesen und schreiben können. Er lernt eifrig und versucht dabei, die Schrecken der Flucht abzuschütteln, nicht darüber nachzudenken, was passiert, wenn er die Deutschprüfungen nicht schafft, wenn er zurück in den Iran verwiesen wird, wenn wieder alles umsonst war. Den Flüchtlingsstatus eines Ukrainers hat er nicht, weil er sich dort lediglich zum Studieren aufhielt. 

Ehsan hat ein strahlendes Gemüt. Einen Optimismus, den er aus der Musik schöpft, wie er erzählt. Nicht trotz allem, wie er betont, sondern wegen allem. Er wusste, erzählt er, dass alles gut wird, wenn er nur irgendwo ein Klavier findet, auf dem er spielen kann. Die Musik spüle all das Schreckliche wie eine Dusche von ihm ab. Sobald er gespielt hat, fühlt er sich wieder stark und optimistisch, den Herausforderungen und der Ungewissheit seiner nahen Zukunft gewappnet. Auf Google habe er, kaum in der Kriegsmühle angekommen, bei seiner Suche nach öffentlichen Plätzen, an denen sich ein frei zugängliches Klavier befinden könnte, das Familienzentrum entdeckt. Natürlich ist dort nicht vermerkt, ob es hier ein Klavier gibt. Doch er sei auf Verdacht hierher gekommen, habe nach einem Klavier gefragt, woraufhin eine Mitarbeiterin ihm das bis dahin doch recht verwaiste Café-Klavier zeigte. Mann und Klavier hatten einander gefunden. Die Dankbarkeit für diese Begegnung klingt aus den Melodien, viele davon von ihm selbst komponiert, die Ehsan aus den Tasten zaubert. Notenlesen kann er nicht, sagt er. Die Musik kommt aus seiner Seele, seiner Erinnerung, seiner Hoffnung. Wenn er auf diese Weise auch Deutsch lernt, muss man sich um die nahe Zukunft dieses klugen Kopfes keine Sorgen machen. Für seine weitere Zukunft sorgt man sich ohnehin nicht, wenn man Zeuge davon wird, wie dieser höfliche, begabte junge Mann sich in jeder Hinsicht Mühe gibt.

In der Zwischenzeit hat uns die Nachricht erreicht, dass Ehsan seine erste Deutschprüfung gemeistert hat. Ihm bleiben weitere vier Wochen für die nächsten drei Stufen. Möge die Klaviermusik ihn forthin tragen.

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